Der richtige Konfigurationsansatz für komplexe Produkte
Bei Maschinen und Anlagen ist die Komplexität der Produktkonfiguration beliebig hoch. Um die damit verbundene Vielfalt zu beherrschen, gibt es zwei grundsätzliche Konfigurationsansätze. Allerdings verspricht nur einer eine nachvollziehbare und benutzerfreundliche Vorgehensweise.
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Wettbewerbsfaktor Individualisierung im Maschinen- und Anlagenbau
Im europäischen Maschinen- und Anlagenbau ist das Erfüllen kundenindividueller Anforderungen von jeher ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Dies führt in der Praxis zu einer großen Variantenvielfalt, die zum einen der Vertrieb anbietet und zum anderen in der Produktion Losgröße 1 fordert. Deshalb sind Lösungen gefragt, mit denen die Variantenvielfalt wirtschaftlich beherrscht werden kann. Eine Lösung ist, Produkte und Anlagen zu modularisieren. Varianten erreicht das Unternehmen durch intelligente Konfiguration standardisierter Komponenten oder Module. So kann ein gut gestalteter Produktbaukasten mit einer „überschaubaren“ Anzahl von Komponenten eine große Zahl von Varianten erzeugen, ohne dass dafür kundenspezifische Sonderkonstruktionen notwendig sind.
Komplexität der Produktkonfiguration für Maschinen und Anlagen
Trotz konsequenter Modularisierung besitzt ein entsprechend komplexes Produkt, wie wir es in der Regel im Maschinenbau vorfinden, eine große Anzahl von möglichen Komponenten und Merkmalen, und eine daraus theoretische, berechenbare Vielfalt bis zu mehreren Milliarden Varianten. Hier reden wir nicht von Varianten, die in Stücklisten auf Artikelebene beschrieben werden, sondern von vertrieblichen Varianten, die kundenrelevante Funktionen mit ihren möglichen Ausprägungen beinhalten. Diese Vielfalt macht die Produktkonfiguration zu einer nicht trivialen Anwendung. Hinzu kommt, dass bei der Konfiguration in Regeln beschriebene Abhängigkeiten zwischen den Komponenten, Merkmalen und Ausprägungen zu berücksichtigen sind: zum Beispiel Komponente Kx ist nur erlaubt, wenn Merkmal Ma > Wert1; oder wenn Komponente A gewählt ist, muss auch Komponente B gewählt oder sogar automatisch hinzugefügt werden. Die Regeln stammen dabei aus verschiedenen Quellen wie gesetzliche Vorschriften, technische, physikalische oder konstruktive Zwänge, Marketing- und Vertriebsstrategien, oder länder spezifische Besonderheiten.
Vielfalt mit CPQ-Systemen und Produktkonfiguratoren beherrschen
Um diese Variantenvielfalt und das oft umfangreiche Regelwerk im Vertrieb zu beherrschen, werden heute CPQ-Systeme (Configure, Price, Quote) und insbesondere die darin enthaltenen Produktkonfiguratoren eingesetzt. Produktkonfiguratoren unterstützen den Anwender dabei, nur gültige Kombinationen auszuwählen und so zu einem baubaren Produkt zu kommen, das die Anforderungen des Kunden am besten erfüllt. Der Anwender kann ein Vertriebsmitarbeiter, Händler oder der Kunde selbst sein. Für die intelligente Produktkonfiguration stützen sich die CPQ-Systeme auf Produktmodelle, die Produkte, Funktionen, Merkmale, Ausprägungen und ihr Beziehungswissen beschreiben. Die verschiedenen CPQ-Systeme unterscheiden sich dabei fundamental.
Der Variantenmanagement-Ansatz
Einige Systeme setzen auf ein Variantenmanagement, mit dem alle möglichen Varianten, das heißt, alle erlaubten Kombinationen von Funktionen und Merkmalsausprägungen in tabellarischer Form dargestellt werden. Im Konfigurationsprozess wird entsprechend den Anforderungen des Kunden eine passende Variante ausgewählt oder vorgeschlagen.
Im Maschinen- und Anlagenbau stößt der Variantenmanagement-Ansatz hingegen an seine Grenzen, weil nicht alle Varianten in einem geschlossenen Baukasten im Vorfeld definiert werden können. Vom Standard abweichende Kundenwünsche, die im Engineering zu klären sind, müssen regelmäßig berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Workflowmechanismen des CPQ-Systems wichtig, um manuelle Positionen freizugegeben, die nicht von den Stammdaten und dem Regelwerk des Produktmodells abgedeckt sind.
Der Expertensystem-Ansatz
Andere CPQ-Systeme basieren auf einem Expertensystem-Ansatz. Hier werden die gewaltigen Mengen an Varianten nicht im Vorfeld angelegt. Vielmehr entsteht das individuelle und technisch realisierbare Produkt Schritt für Schritt erst im Konfigurationsprozess unter Berücksichtigung der hinterlegten Regeln. Das Konfigurationsmodell enthält die Daten über die möglichen Produkte, Komponenten, Merkmale sowie die Konfigurationsregeln. Die Regeln entscheiden darüber, welche Komponenten, Merkmale und Ausprägungen jeweils (noch) möglich sind. Diese werden dann entweder vom System automatisch zugewiesen oder können vom Benutzer ausgewählt werden. Die regelkonforme Konfiguration wird sichergestellt oder Regelverletzungen übersichtlich mit entsprechender Erklärung angezeigt, sodass sie vom Anwender aufgelöst werden können. Diese Vorgehensweise ist gerade bei Produkten, die im Dialog mit dem Kunden entstehen, sehr benutzerfreundlich.
Engineering-to-Order erfordert Expertensystem-Ansatz
Da schrittweise konfiguriert wird, funktioniert dieses Modell auch bei sehr großen Konfigurationen von Systemen sehr performant – also, wenn es um das Zusammenwirken mehrerer Einzelprodukte und kompletter Anlagen geht. Diese Art der Konfiguration erlaubt es zudem, an jeder Stelle freie, manuelle Positionen einzufügen, die nicht im Konfigurator vorgesehen, aber aufgrund eines speziellen Kundenwunsches notwendig sind. Insbesondere im Engineer-to-Order ist die Verwendung von freien Positionen unverzichtbar.
Schrittweiser Konfigurationsprozess
Der schrittweise Konfigurationsprozess im Expertensystem-Ansatz verfolgt nicht das Ziel, möglichst automatisch eine gültige Konfiguration zu finden, wie dies von Systemen mit einem sogenannten Constraint-Solver oder Variantentabellen gemacht wird. Vielmehr wird die Konfiguration gegebenenfalls auf Grundlage von Templates und Vorbelegungen Schritt-für-Schritt aufgebaut. Dabei wird bewusst die Entscheidungskompetenz des Vertriebsmitarbeiters oder des Kunden genutzt, um aus der noch verfügbaren Auswahl für eine Funktion oder Komponente eine mögliche Variante auszuwählen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass die gewünschte Auswahl aufgrund vorher getroffener Entscheidungen nicht mehr erlaubt ist. In diesem Fall wird der Benutzer vom Konfigurator dabei unterstützt, im Prozess zurückzugehen und die frühere Entscheidung zu ändern.
Dieses Backtracking wird weitgehend vermieden, wenn der Benutzer zuerst die für ihn wichtigen Komponenten auswählt oder ihm in einem geführten Dialog (Guided Selling) diese Entscheidungen vorrangig angezeigt werden. Auch dies ist eine natürliche Vorgehensweise. Niemand wird sein Auto um den Aschenbecher herum konfigurieren, sondern die Schwerpunkte auf zum Beispiel Karosserie, Motorisierung und Ähnliches legen.
Einfache Pflege der Produktmodelle durch Regeln
Der Expertensystem-Ansatz ermöglicht die Pflege der Produktmodelle mit geringstmöglichem Aufwand. Da das Produktmodell nicht aus unzähligen Varianten besteht, sondern diese erst im Konfigurationsprozess entstehen, müssen lediglich die hinterlegten Regeln und Stammdaten gepflegt oder ergänzt werden. Zusätzlich zeigt die Erfahrung, dass Regeln einer geringeren Änderungshäufigkeit unterworfen sind. Auch die Struktur der Produktmodelle, die in der Konfigurationswissensbasis hinterlegt ist, hat für bestehende Produkte meist eine hohe Konstanz. Lediglich die konkreten Ausprägungen von Komponenten und Merkmalen werden häufiger verändert. Bei einer geschickten Integration in ein ERP (Enterprise Resource Planning)- oder PLM (Product Lifecycle Management)-System werden diese automatisch als konfigurierbares Material in das Produktmodell miteinbezogen.
Hinzu kommt, dass eine Expertensystem-basierte Konfiguration nicht direkt Beziehungen zwischen Materialpositionen, sondern über die Regeln und Constraints Beziehungen zwischen klassifizierenden Merkmalen herstellt. Das konkrete Material selbst wird über die so definierten Ausprägungen mittels eines Klassifizierungssystems ermittelt. Somit besteht nur lose Abhängigkeit zwischen der Wissensbasis einerseits und den Stammdaten andererseits. Dies reduziert den Aufwand für die Pflege der Produktmodelle.
Fazit: Expertensystembasierte Konfiguration für komplexe Produkte
Der Expertensystem-Ansatz verspricht somit, eine für den Anwender wesentlich nachvollziehbarere und damit benutzerfreundlichere Vorgehensweise bei der Konfiguration von komplexen Produkten, Anlagen oder Systemen und für den Produktmanager eine einfachere Pflege der Produktmodelle.
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